Mehr als Milch und Fleisch: Wert und Leistungen der Berglandwirtschaft
Bergregionen sind mit einem Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe und der Aufgabe von bewirtschaftetem Grünland konfrontiert. Durch den Rückgang werden weniger gesellschaftlich relevante Leistungen wie Kulturlandschaft zur Erholung, Erhaltung genetischer Ressourcen für die Zukunft oder Lebensräume für die biologische Vielfalt bereitgestellt. Die naturnahe und kleinstrukturierte Berglandwirtschaft, die solche Ökosystemleistungen erbringt, wird jedoch selten kostendeckend entlohnt.
Es braucht daher Maßnahmen, um die Berglandwirtschaft zu sichern und zu stärken. Das Ziel des Projektes war es, Landwirt:innen zusätzliche Einkommensquellen durch die Vermarktung gesellschaftlich relevanter Leistungen zu erschließen. Im Detail heißt dies: die relevanten Mehrleistungen der Berglandwirtschaft in der Region Nationalpark Kalkalpen zu erfassen, zu bewerten und ein marktfähiges Geschäftsmodell zur Inwertsetzung dieser Leistungen zu entwickeln.
Um Werte und Mehrleistungen der Berglandwirtschaft darzustellen, wurden vom Umweltbüro Klagenfurt und Raumberg-Gumpenstein Research&Development in einem ersten Schritt ein umfassendes Modell von Ökosystemleistungen sowie Indikatoren und Bewertungssysteme entwickelt. Werte und Leistungen der Berglandwirtschaft sind:
- Versorgung (Lebensmittel, Material, Energie…),
- Regulierung (Wasserhaushalt, Klima, Bodenfruchtbarkeit, Nützlinge…),
- Kultur (Landschaftsbild, Erholung, Bildung, Spiritualität…),
- Erhaltung von Optionen (Krisenvorsorge, Züchtung, Innovation),
- von Vermächtnis (Ahnenerbe, altes Wissen und Handwerk, Mensch-Tier-Beziehung),
- Altruismus (Soziales, Tierwohl),
- ihrem Existenzwert (Wert an sich und Grad der Gefährdung) und
- der Biodiversität (Vielfalt des Lebens).
Für die Erhebung wurde das digitale Betriebsmanagement-Werkzeug Farmlife von Raumberg Gumpenstein sowie der Biodiversitätsrechner von BIO AUSTRIA herangezogen. 29 landwirtschaftliche Betriebe der Nationalpark Kalkalpen-Region haben ihre Betriebsdaten darin eingepflegt. Betriebsbesuche von BIO AUSTRIA und dem ÖKL (Österr. Kuratorium für Landtechnik und Landentwicklung) lieferten durch ergänzende Befragungen der Landwirt:innen zusätzliche Datengrundlagen.
Nach Analyse der Daten haben sich 5 Indikatoren herauskristallisiert, mit denen Mehrwerte der Berglandwirtschaft nachvollziehbar belegbar sind:
Indikator | Belegbare Mehrwerte |
Extensives Grünland | Biodiversität, Produktivhaltung der Flächen, Bestäubung, Kohlenstoffsenke, Wasserreinigung, Erosionsschutz, Landschaftsbild |
Weide | Landschaftsbild, Biodiversität, Emissionsreduktion C und N, Tierwohl – artgerechtes Verhalten, selektive Futteraufnahme) |
Alm | Biodiversität, Zusätzliche Futterproduktion, Qualität der Produkte, Schutz vor Lawinen, Erosion, Erholungswert, Landschaftsästhetik, Tradition, Tierwohl – Tiergesundheit |
Landschaftselemente | Biodiversität, Mikroklima, Wind- und Erosionsreduktion, Wasser- und Kohlenstoffspeicherung, Bestäubung |
Traditionelle Nutztierrassen | Biodiversität/ Optionswert (Erhalt genetisches Potential) Nutzung Grenzertragsstandorte, Qualität, Weideverhalten Grenzertragsstandorte, Kulturgut Züchtung, ästhetischer Wert Tierwohl – Tiergesundheit, natürliche Verhaltensweisen |
Befragung zeigte einen hohen Umsetzungswillen von biodiversitätsfördernden Maßnahmen
STUDIA Schlierbach beschäftigte sich im nächsten Schritt mit der ökonomischen Bewertung. Es wurde in einer Online-Befragung von rund 130 Betriebsleiter:innen in OÖ das Bewusstsein zur Erbringung und Vermarktung von biodiversitätsfördernden Maßnahmen erhoben.
Diese Befragung belegt, dass Maßnahmen wie die Pflege von extensiven Streuobstwiesen und die Bewirtschaftung von extensivem Grünland häufig umgesetzt werden – insbesondere auf Betrieben, die von älteren Landwirt:innen und im Nebenerwerb geführt werden, insbesondere, um die Artenvielfalt und die Attraktivität der Landschaft zu erhalten. Nur 35% aller Betriebe gaben an, dass zusätzliches Einkommen ein Grund für die Umsetzung der Maßnahmen ist.
Allerdings wären rund 14% der Landwirte bereit, biodiversitätsfördernde Maßnahmen am Betrieb umzusetzen, wenn es dafür eine Zahlung gibt. 73 % setzen bereits Maßnahmen um, es würde dann bei einer tatsächlichen Förderung zu einem beachtlichen Anteil von 87 % führen.
Nachfrageseitig wurden u.a. Unternehmen als potenzielle Zielgruppe für die Geschäftsmodelle gesehen. Daher wurden Führungskräfte von Unternehmen und Unternehmensberater zu den aktuellen und zukünftig möglichen gesetzlichen Anforderungen hinsichtlich der Umweltauswirkungen der Unternehmen und den daraus resultierenden Bedürfnissen befragt. Es wurde festgestellt, dass hier Kompensationsmaßnahmen für den Verlust der Biodiversität eine zunehmende Rolle spielen werden.
Was kostet Biodiversität?
In einem weiteren Schritt berechnete STUDIA die Bereitstellungskosten für Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität. Die Nutzung von Streuobstwiesen und extensiven Grünland weisen ähnliche Bereitstellungkosten auf, die zwischen 800 EUR und 1.800 EUR pro ha liegen. Die Bewirtschaftung von Steilflächen stellt sich deutlich teurer dar: eine extensive Grünlandnutzung bereitet hier Kosten beginnend von 1.200 EUR bis 2.700 EUR.
In Summe kann für die Region Nationalpark Kalkalpen wissenschaftlich belegt und fundiert nachgewiesen werden, dass die Berglandwirtschaft ein vielfältiges Angebot an Biodiversität und Ökosystemleistungen bereitstellen kann.
Geschäftsmodelle entwickeln
Im letzten Arbeitsschritt wurde zur In-Wert-Setzung der Leistungen die Entwicklung von Geschäftsmodellen in den Fokus gerückt.
Von der FH Oberösterreich wurden verschiedene Ansätze für Geschäftsmodelle untersucht und als Möglichkeit einer Übertragung auf die Region hin analysiert.
Der Green Deal kann dabei ebenfalls eine Riesenchance für die Berglandwirtschaft sein. Ab 2025 sehen sich viele Unternehmen mit neuen europäischen Regulatorien konfrontiert, die die Erbringung von Nachhaltigkeitsleistungen vorschreiben. Die Landwirt:innen könnten mit ihren Umweltleistungen, die über die Produktion von Milch und Fleisch hinausgehen, Lösungen für diese Bedarfe bieten. Daher fassen die Projektinitiatoren bereits ein Folgeprojekt ins Auge, das die internationale Anerkennung biodiversitätsfördernder Leistungen mittels Zertifizierung zum Ziel hat.
Die Projektgruppe „ARGE Mehrwert Berglandwirtschaft“: Ahrer Leopold jun., Mikota Peter, Aspalter Regina, Kirchweger Stefan, Verein Nahtur, BBK Kirchdorf-Steyr, STUDIA Schlierbach
Kontakt: Mag. Anita Haider
Tel: +43 664 4559911
E-Mail:
Kooperationspartner: Umweltbüro Klagenfurt, ÖKL, HBLFA Raumberg-Gumpenstein Research & Development, FH OÖ, BIO AUSTRIA
Weitere Informationen auf www.mehrwert-landwirtschaft.at/Berglandwirtschaft