Klimawandel und Kellerwirtschaft
Neue Gegebenheiten mit Auswirkungen auf Weinlese und Vinifikation
Die veränderten klimatischen Bedingungen im Weingarten führen zunehmend zu einer Entkoppelung der technischen und physiologischen Reife der Trauben. Während die Zuckerakkumulation frühzeitig und auf hohem Niveau erfolgt, verzögert sich gleichzeitig die Entwicklung von Aromen und die Reife der Phenole. Aber auch bereits vor der Reifephase bewirken die klimatischen Veränderungen deutliche Verschiebungen in der chemischen Zusammensetzung der Trauben. Daraus resultieren:
- Erhöhte Zuckerkonzentrationen
- Geringere Säuregehalte
- Anstieg der pH-Werte
- Reduktion des hefeverwertbaren Stickstoffs
- Verstärkte Bildung von Bitterstoffen
Diese Faktoren beeinflussen die folgenden Verarbeitungs- und Vinifikationsprozesse maßgeblich und stellen neue Anforderungen an die Anpassung der kellerwirtschaftlichen Maßnahmen.
Die Kunst des optimalen Lesezeitpunkt: Ein Wettlauf gegen die Reife
Die Reifezeiten haben sich deutlich nach vorne verschoben, während das Erntezeitfenster zunehmend enger wird. In heißen Jahren kann die physiologische Reife oft nicht mit einem moderaten Alkoholgehalt in Einklang gebracht werden. Oftmals wird ein früherer Lesetermin als Lösungsansatz genannt, um überhöhte Alkoholgehalte zu vermeiden. Ein zu früher Lesetermin ermöglicht zwar ausgewogene Alkoholgehalte und ausreichende Säuregehalte, jedoch führt er häufig zu unreifen, bitteren Phenolen und einer unzureichenden Aromaentwicklung. Ziel ist es daher, den optimalen Erntezeitpunkt zu bestimmen, der sowohl akzeptable Zuckergehalte als auch eine ausreichende phenolische und aromatische Reife gewährleistet. Dies erfordert insbesondere in heißen Jahren eine präzise Beobachtung, eine sorgfältige Planung und eine hohe organisatorische Schlagkraft sowie Flexibilität.
Oxidation des Mostes
Eine weitere Herausforderung ist das zunehmende Risiko gegenüber Oxidation bei der Lese und Traubenverarbeitung. Der Kontakt von Sauerstoff mit dem Most führt zu enzymatisch katalysierten Reaktionen, welche durch erhöhte Temperaturen und pH-Werten begünstigt werden. Diese treten bereits beim Saftaustritten während der Lese und beim Entrappen, Quetschen und Pressen der Trauben auf. In Folge kann es zu einer verstärkten Braunfärbung des Mosts und einem Verlust an Aromavorstufen kommen.
Maßnahmen zur Reduktion der Oxidation umfassen eine rasche sowie schonende Lese und Traubenverarbeitung bei niedrigen Temperaturen. Eine Nachtlese oder frühmorgendliche Ernte stellt eine energie- und kosteneffiziente Methode dar, um die Traubentemperaturen möglichst gering zu halten. Alternativ kann einer Oxidation durch Most- oder Traubenkühlung sowie der Nutzung von Inertgasen entgegengewirkt werden. Eine gezielte Schwefelung trägt zusätzlich dazu bei, oxidative Prozesse zu verlangsamen und Braunfärbungen zu reversieren.
Steigende pH-Werte und erhöhte Temperaturen: Herausforderungen für die mikrobiologische Stabilität
Erhöhte Temperaturen und steigende pH-Werte begünstigen auch das Wachstum unerwünschter Mikroorganismen wie heterofermentativer Milchsäurebakterien, wilder Hefen, Essigsäurebakterien und Schadpilze, insbesondere in der frühen Phase der alkoholischen Gärung. Diese Mikroorganismen können unerwünschte Nebenprodukte wie flüchtige Säuren und Phenole, biogene Amine und Essigsäure bilden, welche die sensorische Qualität der Weine erheblich beeinträchtigen. Zudem steigt das Risiko eines ungewollten biologischen Säureabbaus (BSA) und der damit verbundenen Diacetylbildung, wodurch frische Weißweine an Sortentypizität verlieren. Hohe pH-Werte verstärken zusätzlich den buttrig-joghurtartigen Diacetylgeschmack und lassen ihn oft zu dominant erscheinen. Ein wesentlicher Aspekt im Zusammenhang mit steigenden pH-Werten ist die Verschiebung des chemischen Gleichgewichts zugunsten der dissoziierten Form, wodurch die antimikrobielle und antioxidative Wirkung deutlich verringert wird. Darüber hinaus wird die Wirksamkeit von Weinbehandlungsmitteln wie Bentonit oder Gelatine zur Reduzierung von Bitterstoffen durch höhere pH-Werte verringert.
Der elementare Baustein zur Vermeidung mikrobieller Kontaminationen beim Most ist auch hier die Temperaturkontrolle während der gesamten Verarbeitung – von der Lese über den Transport bis zur Vinifikation. Für die mikrobiologische Stabilität während der Vinifikation sind insbesondere neben der Schwefelung ein niedriger pH-Wert durch angemessene Säuregehalte, eine konsequente Kellerhygiene, ein präzises Hefemanagement und eine kontrollierte Gärführung essentiell.
Veratmete Säure
Die Säuregehalte der Trauben werden stark durch klimatische Veränderungen beeinflusst und wirken sich direkt auf Most- und Weineigenschaften sowie kellerwirtschaftliche Maßnahmen aus. Steigende Temperaturen fördern ab Beginn der Zuckereinlagerung den Abbau der Äpfelsäure durch verstärkte Atmungsprozesse. Die Weinsäure bleibt während des Reifeverlaufs relativ konstant, jedoch wird die Akkumulation beider Säuren vor der Reifephase durch Hitzestress und einem erhöhten Trockenstress reduziert. Eine ausreichende Säurekonzentration ist ausschlaggebend für den Erhalt eines niedrigen pH-Wertes und die damit verbundene mikrobielle und oxidative Stabilität.
Während in der Vergangenheit häufig eine Entsäuerung erforderlich war, gewinnt aufgrund klimatischer Veränderungen die gezielte Säuerung zunehmend an Bedeutung. Bis 2022 war diese nur in Ausnahmejahren zulässig, seither ist die Zugabe von bis zu 4 g/l Weinsäure ohne behördliche Genehmigung erlaubt. Die zugelassene Weinsäure für die biologische Produktion besitzt den stärksten Effekt auf die Senkung des pH-Werts. Allerdings kann es insbesondere bei hohen Kaliumgehalten zu einem erhöhter Weinsteinausfall und somit verstärkten Säureverlust kommen. Daher können ergänzende Stabilisierungsmaßnahmen erforderlich sein, um unerwünschte Kristallbildung zu verhindern. Eine weitere Möglichkeit den Säuregehalt zu erhöhen besteht darin, unterschiedliche Lesezeitpunkt innerhalb einer Anlage durchzuführen und einen Verschnitt von den daraus resultierenden Weinen oder von verschiedenen Lagen vorzunehmen.
Steigende Zucker- und Alkoholgehalte: Hefen unter Druck
In den letzten Jahrzehnten haben steigende Zuckerkonzentrationen in den Trauben zu einer deutlichen Erhöhung des Alkoholgehalts in den Weinen geführt. Ein Großteil dieses Anstiegs ist auf die veränderten klimatischen Bedingungen zurückzuführen. Höhere Durchschnittstemperaturen und eine frühere Reifezeit begünstigen die schnelle Zuckerakkumulation in den Beeren. Kulturtechnische Maßnahmen wie die Reduktion der Erträge, eine höhere Laubwandfläche und ein immer späterer Lesezeitpunkt aufgrund des Strebens nach intensiven, reifen Fruchtaromen haben diese Entwicklung jedoch verstärkt. Hohe Alkoholgehalte beeinflussen die sensorischen Eigenschaften eines Weins erheblich, wobei die Intensität von frischen Aromen und Geschmacksnoten reduziert und die Wahrnehmung von Schärfe und Bitterkeit verstärkt wird.
Aus önologischer Sicht stellen hohe Zuckerkonzentrationen bzw. Alkoholgehalte eine Herausforderung beim Gärverlauf dar. Hohe Zuckergehalte im Most setzen die Hefen unter starken osmotischen Stress, wodurch die Gärung verzögert werden kann. Zudem wirkt Ethanol in hohen Konzentrationen toxisch auf Hefezellen und beeinträchtigen die vollständige Verstoffwechselung des Zuckers, die für die Produktion trockener Weine erforderlich ist. Die daraus resultierenden Gärstockungen begünstigen daher auch die Vermehrung unerwünschter Mikroorganismen, und die damit einhergehende Bildung von flüchtigen Säuren oder Ethylacetat. Besonders bei der Herstellung von Schaumweinen führt eine erhöhte Alkoholkonzentration im Sektgrundwein zu einer erschwerten zweiten Gärung. Gärstockungen können dazu führen, dass die notwendige Menge an Kohlenstoffdioxid nicht gebildet wird. Korrigierende Eingriffe sind insbesondere bei Sekt nur mit einem erhöhten Aufwand möglich und die Erfolgswahrscheinlichkeit sehr gering.
Zur Reduktion des Alkoholgehalts sollten vorrangig Maßnahmen im Weinberg umgesetzt werden, um die Zuckerakkumulation in den Beeren zu minimieren. Zudem ist die Wahl eines optimalen Lesezeitpunkts essentiell, um eine Überreife der Trauben zu verhindern. Physikalische Verfahren zur partiellen Entalkoholisierung, sind in der biologischen Produktion nicht zulässig und sind darüber hinaus mit einem hohen Energieverbrauch und beträchtlichen Anschaffungskosten verbunden. Eine alternative Möglichkeit ist auch hier der Verschnitt von Weinen aus verschiedenen Lesezeitpunkten und/oder Lagen. Für einen erfolgreichen Gärverlauf ist eine temperaturgesteuerte Gärführung essentiell. Dadurch können unerwünschte Gärprozesse im Weißwein bereits während des prefermentativen Schritts, wie dem Vorklären, verhindert und einer unkontrollierten bzw. stürmischen Gärung entgegengewirkt werden. Gleichzeitig wird das Auftreten von Gärstockungen minimiert, da die Entwicklung und Aktivität der Hefen maßgeblich von der Temperatur abhängig sind. Zusätzlich kann die Gärung durch ein präzises Management der Hefenährstoffe unterstützt werden, insbesondere bei Mosten mit einer geringeren Konzentration an hefeverwertbaren Stickstoff. Dieser wird durch die Stickstoffaufnahme und Akkumulation in den Beeren maßgeblich beeinflusst, welche bei extremen klimatischen Bedingungen vorwiegend reduziert wird. Ein weiterer vielversprechender Lösungsansatz stellt der Einsatz spezieller Hefen mit reduzierter Alkoholausbeute dar, welcher zu einer Alkoholreduktion um 1–2 Vol.-% führen kann. Diese Hefen metabolisieren Zucker über alternative Stoffwechselwege, wodurch weniger Ethanol produziert wird. Allerdings ist hierbei zu beachten, welche Nebenprodukte stattdessen entstehen und wie diese die Weinqualität beeinflussen.
Erhöhte Phenolgehalte und verstärkte Bitterkeit
Zunehmende Sonneneinstrahlung und Trockenstress beeinflussen die Phenolzusammensetzung der Trauben erheblich. Warme und trockene Jahre führen zu höheren Phenolgehalten, die bei Rotweinen zur Struktur und Qualität beitragen können, in frisch-fruchtigen Weißweinen jedoch unerwünschte Bitterkeit und Adstringenz verstärken. Besonders Flavanole aus Traubenkernen verbleiben bei unzureichender physiologischer Reife in einer unreifen Form und werden bei verstärkter Extraktion in höheren Mengen freigesetzt, wodurch die Bitterkeit im Wein zunimmt. Ein hoher Trubstoffgehalt kann zudem zu einer maskierenden Aromatik führen und die sensorische Klarheit des Weins beeinträchtigen. Außerdem intensivieren hohe Alkoholgehalte zusätzlich die Wahrnehmung dieser Bitterstoffe.
Eine schonende und zügige Traubenverarbeitung ist essentiell, um die Extraktion unerwünschter Phenole zu minimieren. In heißen Jahren mit Trockenstress und hoher Strahlung sind niedrige Pressdrücke erforderlich, um eine übermäßige Freisetzung von Gerbstoffen zu verhindern. Die Ganztraubenpressung kann zur Reduktion des Phenolgehalts beitragen, da das Stielgerüst den Mostabfluss erleichtert und die Beeren vor starkem Pressdruck schützt. Auch die Traubenkerne bleiben weitgehend unbeschädigt, wodurch der Eintrag von Bitterstoffen in den Most verringert wird. Diese Methode ermöglicht gleichzeitig einen verstärkten Erhalt der Säure und eine geringere Alkoholausbeute. Eine weitere Möglichkeit stellt eine Trennung der verschiedenen Pressfraktionen dar. Der Einsatz eiweißhaltiger Schönungsmittel wie Gelatine oder pflanzliche Proteine kann zur weiteren Reduzierung eingesetzt werden.
Die klimatischen Veränderungen machen kellerwirtschaftliche Anpassungen an die veränderte Traubenzusammensetzung erforderlich, jedoch sollten vorrangig weinbauliche Maßnahmen ergriffen werden, um den negativen Auswirkungen vorbeugend entgegenzuwirken.