Kein Freibrief für neue Gentechnik!
Geht es nach einem neuen Gesetzesvorschlag, soll neue Gentechnik in Zukunft ohne Risikoprüfung und Kennzeichnung auf den Markt kommen und würde somit die Entscheidungsfreiheit untergraben. Die neue Gentechnik bleibt in Bio verboten, die Koexistenzfrage bleibt unbeantwortet.
Derzeit sind gentechnische Verfahren über das EU-Gentechnik-Recht geregelt. Dieses schreibt vor, dass gentechnisch veränderte Organismen vor der Vermarktung eine Risikobewertung durchlaufen und diese über die gesamte Produktionskette gekennzeichnet und rückverfolgbar sein müssen. Am 5. Juli 2023 hat die Europäische Kommission nun einen Vorschlag für eine Neuregelung im Umgang mit den sogenannten „Neuen Gentechniken“ (New Genomic Techniques, NGTs) vorgelegt. Als NGTs gelten jene gentechnischen Verfahren, die nach der Einführung des Gentechnik-Rechts im Jahr 2001 entwickelt wurden, wie etwa die Technik CRISPR/Cas. Allen Gentechniken gemein ist, dass sie tiefe Eingriffe in das Erbgut von Lebewesen ermöglichen.
Vorschlag EU-Kommission
NGT-Pflanzen sollen in zwei Gruppen eingeteilt werden. Die Gruppe 1 bilden NGT-Pflanzen, die als „gleichwertig“ zu herkömmlicher Züchtung bezeich-net werden. Problematisch ist, dass die Kriterien für die angebliche Gleichwer-tigkeit nicht wissenschaftlich begründet sind. So dürfen zum Beispiel an bis zu 20 Stellen im Genom der Pflanze beliebig viele Gen-Bausteine entfernt werden. Die NGTs der Gruppe 1 sollen von der Risikobewertung und Rückverfolgbarkeit ausgenommen werden. Stattdessen sollen diese nur angemeldet und lediglich auf Ebene des Saatguts über ein Register als NGTs erkennbar sein. Alle anderen NGTs werden der Gruppe 2 zugeordnet. Diese sollen zwar weiterhin nach dem Gentechnikrecht zugelassen und gekennzeichnet werden, aber eine Reihe von Erleichterungen erfahren.
Folgen für Bio
Der Einsatz von NGT-Pflanzen in der biologischen Produktion bleibt im Vorschlag – so wie auch bisher – explizit verboten. Dies entspricht der nachdrücklichen Forderung der europäischen Bio-Bewegung unter Beteiligung von BIO AUSTRIA. Allerdings liefert der Vorschlag keine Lösungen dafür, wie biologische und gentechnik-freie Produktion durch Koexistenz-Maßnahmen geschützt werden. Die Kosten der Warentrennung und Rückverfolgbarkeit würden damit der gentechnik-freien Produktion aufgebürdet. Damit wäre das Verursacherprinzip auf den Kopf gestellt. Außerdem sollen die einzelnen Mitgliedsstaaten den Anbau von NGTs nicht mehr verbieten dürfen. Österreich könnte somit nur mehr den Anbau von alter Gentechnik gesetzlich verhindern.
Verstärkte Patentproblematik
Patentinhaber können sich nicht nur für die Gentechniken an sich, sondern auch für damit erzeugte Eigenschaften die exklusiven Nutzungsrechte sichern. Damit können sie auch Lizenzgebühren einfordern, wenn Sorten aus herkömmlicher Zucht diese Eigenschaften tragen. Bereits jetzt sind circa 1000 herkömmlich (ohne Gentechnik) gezüchtete Sorten von europäischen Patenten betroffen. Diese Wechselwirkung mit dem Patentrecht hat die Europäische Kommission bislang völlig ausgeblendet. Sie bedeutet eine akute Bedrohung der Saatgut-Autonomie. Die Abhängigkeiten der Bäuerinnen und Bauern, Züchterinnen und Züchter sowie der gesamten Lebensmittelproduktion würden verstärkt werden. Es drohen unzählige Patentrechtsklagen und eine Monopolisierung des Saatguts.
Freie Entscheidung adé?
„Die Europäische Kommission ist offenbar den leeren Versprechungen der Chemie- und Saatgut-Konzerne auf den Leim gegangen. NGTS sind keine Wunderlösung für eine nachhaltigere Landwirtschaft, dafür braucht es einen grundlegenden Wandel des Agrar- und Lebensmittelsystems“, so BIO AUSTRIA Obfrau Barbara Riegler. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in der EU lehnen Gentechnik in Lebensmitteln ab und lassen sie im Regal liegen. Ohne Kennzeichnung könnte man diese Entscheidung nicht mehr treffen. Profitieren würden davon die großen Konzerne, die NGT einsetzen und Patente auf Pflanzen und Merkmale besitzen.
Wie es weiter geht
Nun beginnen die Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission, dem Rat der Mitgliedstaaten und dem Europaparlament zum Gesetzesvorschlag. Österreich als Gentechnik-freies Land und Bio-Vorreiter in Europa hat den Plänen der Kommission bereits eine Absage erteilt. Klar ist, dass das Ernährungssystem sich grundlegend wandeln muss, um der Klima- und Biodiversitätskrise zu begegnen. Die Politik darf sich dabei nicht von Scheinlösungen blenden lassen, sondern auf erprobte Lösungsansätze wie die Bio-Landwirtschaft setzen und hier Innovationen fördern – ganz ohne Gentechnik.
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Thomas Fertl, Markus Leithner, Friederike Klein, BIO AUSTRIA Bundesverband