Klimawandel und Kellerwirtschaft

Veröffentlicht am 14. Februar 2025
©BIO AUSTRIA/Liebentritt

Neue Herausforderungen im Keller: Wie sich veränderte Klimabedingungen auf Weinlese und Vinifikation auswirken

Die veränderten klimatischen Bedingungen im Weingarten führen bereits vor Reifebeginn zu deutlichen Verschiebungen in der chemischen Zusammensetzung der Trauben. In der Reifephase kommt es zunehmend zu einer Entkoppelung der technischen und physiologischen Reife der Trauben. Während die Zuckerakkumulation frühzeitig und auf hohem Niveau erfolgt, verzögert sich gleichzeitig die Entwicklung von Aromen und die Reife der Phenole. Insgesamt resultieren daraus

Daraus resultieren:

  • Erhöhte Zuckerkonzentrationen
  • Geringere Säuregehalte
  • Anstieg der pH-Werte
  • Reduktion des hefeverwertbaren Stickstoffs
  • Verstärkte Bildung von Bitterstoffen

Diese Faktoren beeinflussen die nachfolgenden Verarbeitungs- und Vinifikationsprozesse maßgeblich und stellen neue Anforderungen an die Anpassung der kellerwirtschaftlichen Maßnahmen.

Die Kunst des optimalen Lesezeitpunkts

Die Reifephase hat sich deutlich nach vorne verschoben und das Erntezeitfenster wird zunehmend enger. Insbesondere in heißen Jahren kann die physiologische Reife oft nicht mit einem moderaten Alkoholgehalt in Einklang gebracht werden. Oftmals wird ein früherer Lesetermin als Lösungsansatz genannt, um überhöhte Alkoholgehalte zu vermeiden. Ein zu früher Lesetermin ermöglicht zwar ausgewogene Alkoholgehalte und ausreichende Säuregehalte, jedoch führt er häufig zu unreifen, bitteren Phenolen und einer unzureichenden Aromaentwicklung sowie einer verstärkten Neigung zu untypischen Alterungsnoten (UTA).

Die Säuregehalte der Trauben werden stark durch klimatische Veränderungen beeinflusst und wirken sich direkt auf Most- und Weineigenschaften sowie kellerwirtschaftliche Maßnahmen aus. Steigende Temperaturen fördern ab Beginn der Zuckereinlagerung den Abbau der Äpfelsäure durch verstärkte Atmungsprozesse. Die Weinsäure bleibt während des Reifeverlaufs relativ konstant, jedoch wird die Akkumulation beider Säuren vor der Reifephase durch Hitzestress und einem erhöhten Trockenstress reduziert. Eine ausreichende Säurekonzentration ist ausschlaggebend für den Erhalt eines niedrigen pH-Wertes und die damit verbundene mikrobielle und oxidative Stabilität. Ziel ist es daher, den optimalen Erntezeitpunkt zu bestimmen, der sowohl akzeptable Zuckergehalte als auch eine ausreichende phenolische und aromatische Reife gewährleistet. Dies erfordert insbesondere in heißen Jahren eine präzise Beobachtung, eine sorgfältige Planung und eine hohe organisatorische Schlagkraft sowie Flexibilität.

Oxidation des Mostes

Eine weitere Herausforderung ist das zunehmende Oxidationsrisiko unter hohen Temperaturen während der Lese und Traubenverarbeitung. Der Kontakt von Sauerstoff mit dem Most führt zu enzymatisch katalysierten Reaktionen, welche durch erhöhte Temperaturen und hohe pH-Werte begünstigt werden. Diese treten bereits beim Saftaustritt während der Lese und beim Entrappen, Quetschen und Pressen der Trauben auf. In Folge kann es zu einer verstärkten Braunfärbung des Mosts und einem Verlust an Aromavorstufen kommen. Maßnahmen zur Reduktion der Oxidation umfassen eine rasche und schonende Lese sowie eine Traubenverarbeitung bei niedrigen Temperaturen. Eine Nachtlese oder frühmorgendliche Ernte stellt eine energie- und kosteneffiziente Methode dar, um die Traubentemperaturen möglichst gering zu halten. Alternativ kann einer Oxidation durch Most- oder Traubenkühlung sowie der Nutzung von Inertgasen entgegengewirkt werden. Eine gezielte Schwefelung trägt zusätzlich dazu bei, oxidative Prozesse zu verlangsamen und Braunfärbungen zu reversieren.

Erhöhte Temperaturen und hohe pH-Werte: Herausforderungen für die mikrobiologische Stabilität

Erhöhte Temperaturen und hohe pH-Werte begünstigen auch das Wachstum unerwünschter Mikroorganismen wie heterofermentative Milchsäurebakterien, wilde Hefen, Essigsäurebakterien und Schadpilze, insbesondere in der frühen Phase der alkoholischen Gärung. Diese Mikroorganismen können unerwünschte Nebenprodukte wie flüchtige Säuren und Phenole, biogene Amine und Essigsäure bilden, welche die sensorische Qualität der Weine erheblich beeinträchtigen. Zudem steigt das Risiko eines ungewollten biologischen Säureabbaus (BSA) und der damit verbundenen Diacetylbildung, wodurch frische Weißweine an Sortentypizität verlieren. Hohe pH-Werte verstärken zusätzlich den buttrig-joghurtartigen Diacetylgeschmack und lassen ihn oft zu dominant erscheinen.

Ein wesentlicher Aspekt im Zusammenhang mit steigenden pH-Werten ist die eingeschränkte antimikrobielle sowie antioxidative Wirkung der schwefligen Säure (SO₂). Die freie schwefelige Säure, welche mikrobiologisch aktiv ist, liegt in zwei Formen vor: als Bisulfit-Ion (HSO₃⁻) und als molekulares SO₂. Nur der molekulare, undissoziierte Anteil kann in Mikroorganismen eindringen und deren Stoffwechsel unterbinden. Mit steigendem pH-Wert verschiebt sich das chemische Gleichgewicht zugunsten der dissoziierten Form, wodurch die antimikrobielle und antioxidative Wirkung erheblich abnimmt. Bei einem pH-Wert von 3,2 sind lediglich etwa 4 % der freien schwefligen Säure in der wirksamen undissoziierten Form vorhanden und ab einem pH-Wert von 4,0 liegt fast der gesamte Anteil als inaktive dissoziierten Form vor. Darüber hinaus wird die Wirksamkeit von Weinbehandlungsmitteln wie Bentonit oder Gelatine zur Reduzierung von Bitterstoffen durch höhere pH-Werte verringert.

Der elementare Baustein zur Vermeidung mikrobieller Kontaminationen beim Most ist auch hier die Temperaturkontrolle während der gesamten Verarbeitung – von der Lese über den Transport bis zur Vinifikation. Für die mikrobiologische Stabilität während der Vinifikation sind neben der Schwefelung eine konsequente Kellerhygiene, ein präzises Hefemanagement, eine kontrollierte Gärführung und insbesondere ein niedriger pH-Wert durch angemessene Säuregehalte essentiell. Während in der Vergangenheit häufig eine Entsäuerung erforderlich war, gewinnt aufgrund klimatischer Veränderungen die gezielte Säuerung zunehmend an Bedeutung. Bis 2022 war diese nur in Ausnahmejahren zulässig, seither ist die Zugabe von bis zu 4 g/l Weinsäure ohne behördliche Genehmigung erlaubt. Die zugelassene Weinsäure für die biologische Produktion besitzt den stärksten Effekt auf die Senkung des pH-Werts. Allerdings kann es insbesondere bei hohen Kaliumgehalten zu einem erhöhter Weinsteinausfall und somit verstärkten Säureverlust kommen. Daher können ergänzende Stabilisierungsmaßnahmen erforderlich sein, um unerwünschte Kristallbildung zu verhindern. Eine weitere Möglichkeit den Säuregehalt zu erhöhen besteht darin, unterschiedliche Lesezeitpunkt innerhalb einer Anlage durchzuführen und einen Verschnitt von den daraus resultierenden Weinen oder von verschiedenen Lagen vorzunehmen.

Steigende Zucker- und Alkoholgehalte: Hefen unter Druck

In den letzten Jahrzehnten haben steigende Zuckerkonzentrationen in den Trauben zu einer deutlichen Erhöhung des Alkoholgehalts in den Weinen geführt. Ein Großteil dieses Anstiegs ist auf die veränderten klimatischen Bedingungen zurückzuführen. Höhere Durchschnittstemperaturen und eine frühere Reifephase begünstigen die schnelle Zuckerakkumulation in den Beeren. Kulturtechnische Maßnahmen wie die Reduktion der Erträge, eine höhere Laubwandfläche und ein immer späterer Lesezeitpunkt aufgrund des Strebens nach intensiven, reifen Fruchtaromen haben diese Entwicklung verstärkt. Hohe Alkoholgehalte beeinflussen die sensorischen Eigenschaften eines Weins erheblich, wobei die Intensität von frischen Aromen und Geschmacksnoten reduziert und die Wahrnehmung von Schärfe und Bitterkeit verstärkt wird.

Aus önologischer Sicht stellen hohe Zuckerkonzentrationen bzw. Alkoholgehalte eine Herausforderung beim Gärverlauf dar. Hohe Zuckergehalte im Most setzen die Hefen unter starken osmotischen Stress, wodurch die Gärung verzögert werden kann. Zudem wirkt Ethanol in hohen Konzentrationen toxisch auf Hefezellen und beeinträchtigen die vollständige Verstoffwechselung des Zuckers, die für die Produktion trockener Weine erforderlich ist. Die daraus resultierenden Gärstockungen begünstigen daher auch die Vermehrung unerwünschter Mikroorganismen, und die damit einhergehende Bildung von flüchtigen Säuren oder Ethylacetat. Besonders bei der Herstellung von Schaumweinen führt eine erhöhte Alkoholkonzentration im Sektgrundwein zu einer erschwerten zweiten Gärung. Gärstockungen können die Bildung der erforderlichen Menge an Kohlenstoffdioxid verringern und dadurch die Mousseux-Qualität beeinträchtigen sowie die Wahrnehmung der frischen Säure reduzieren. Ein unzureichender Druck aufgrund eines zu niedrigen Kohlenstoffdioxid-Gehalts kann außerdem die Einstufung des Weines als Qualitätsschaumwein (>3,5 bar) für die Vermarktung ausschließen. Korrigierende Maßnahmen, wie die erneute Hefezugabe, sind insbesondere bei der Flaschengärung mit erheblichem Aufwand verbunden und weisen eine geringe Erfolgswahrscheinlichkeit auf.

Zur Reduktion des Alkoholgehalts sollten vorrangig Maßnahmen im Weingarten umgesetzt werden, um die Zuckerakkumulation in den Beeren zu minimieren. Dazu zählen die Vermeidung frühreifer Sorten insbesondere auf frühreifenden Unterlagen in warmen Lagen, ein spätes Gipfeln der Laubwand, eine moderate Entblätterung und Laubwandfläche sowie die Wahl des optimalen Lesezeitpunkts.

Physikalische Verfahren zur partiellen Entalkoholisierung sind in der biologischen Produktion derzeit nicht zulässig und darüber hinaus mit einem hohen Energieverbrauch und beträchtlichen Anschaffungskosten verbunden. Ein vielversprechender Lösungsansatz stellt der Einsatz von neu isolierten Saccharomyces cerevisiae-Stämmen und eine Co-Inokulation mit Non-Saccharomyces-Hefen dar. Dadurch kann eine geringere Alkoholausbeute erzielt und bei Non-Saccharomyces-Hefen eine Alkoholreduktion um 1-2 Vol.-% ermöglicht werden. Non-Saccharomyces-Hefen metabolisieren Zucker über alternative Stoffwechselwege, wodurch weniger Ethanol produziert wird. Allerdings ist hierbei zu beachten, welche Nebenprodukte stattdessen entstehen und wie diese die Weinqualität beeinflussen. Eine weitere praxistaugliche und effektive Möglichkeit ist auch hier der Verschnitt von Weinen aus verschiedenen Lesezeitpunkten und/oder Lagen.

Für einen erfolgreichen Gärverlauf ist eine temperaturgesteuerte Gärführung essentiell. Dadurch können unerwünschte Gärprozesse im Weißwein bereits während des prefermentativen Schritts, wie dem Vorklären, verhindert und einer unkontrollierten bzw. stürmischen Gärung entgegengewirkt werden. Gleichzeitig wird das Auftreten von Gärstockungen minimiert, da die Entwicklung und Aktivität der Hefen maßgeblich von der Temperatur abhängig sind. Zusätzlich kann die Gärung durch ein präzises Management der Hefenährstoffe unterstützt werden, insbesondere bei Mosten mit einer geringeren Konzentration an hefeverwertbaren Stickstoff. Dieser wird durch die Stickstoffaufnahme und Akkumulation in den Beeren maßgeblich beeinflusst, welche bei extremen klimatischen Bedingungen vorwiegend reduziert wird.

Erhöhte Phenolgehalte und verstärkte Bitterkeit

Zunehmende Sonneneinstrahlung und Trockenstress beeinflussen die Phenolzusammensetzung der Trauben erheblich. Warme und trockene Jahre führen zu höheren Phenolgehalten, die bei Rotweinen zur Struktur und Qualität beitragen können, in frisch-fruchtigen Weißweinen jedoch eine unerwünschte Bitterkeit und Adstringenz verstärken. Besonders Flavanole aus Traubenkernen verbleiben bei unzureichender physiologischer Reife in einer unreifen Form und werden bei verstärkter Extraktion in höheren Mengen freigesetzt, wodurch die Bitterkeit im Wein zunimmt. Ein hoher Trubstoffgehalt kann zudem zu einer maskierenden Aromatik führen und die sensorische Klarheit des Weins beeinträchtigen. Außerdem intensivieren hohe Alkoholgehalte zusätzlich die Wahrnehmung dieser Bitterstoffe.

Eine schonende und zügige Traubenverarbeitung ist essentiell, um die Extraktion unerwünschter Phenole zu minimieren. In heißen Jahren mit Trockenstress und hoher Sonnenstrahlung sind niedrige Pressdrücke erforderlich, um eine übermäßige Freisetzung von Gerbstoffen zu verhindern. Die Ganztraubenpressung kann zur Reduktion des Phenolgehalts beitragen, da das Stielgerüst den Mostabfluss erleichtert und die Beeren vor starkem Pressdruck schützt. Auch die Traubenkerne bleiben weitgehend unbeschädigt, wodurch der Eintrag von Bitterstoffen in den Most verringert wird. Diese Methode ermöglicht gleichzeitig einen verstärkten Erhalt der Säure und eine geringere Alkoholausbeute. Eine weitere Möglichkeit stellt eine Trennung der verschiedenen Pressfraktionen dar. Der Einsatz eiweißhaltiger Schönungsmittel wie Gelatine oder pflanzliche Proteine kann zur weiteren Reduktion von Gerbstoffen und oxidierbaren Substanzen eingesetzt werden.

Fazit

Die klimatischen Veränderungen erfordern kellerwirtschaftliche Anpassungen an die veränderte Traubenzusammensetzung, jedoch ist eine gezielte Adaptation weinbaulicher Maßnahmen essentiell, um negativen Auswirkungen frühzeitig entgegenzuwirken. Langfristig tragen die gezielte Lagenwahl, das Erziehungssystem, eine reduzierte Pflanzdichte sowie die Auswahl klimaangepasster Rebsorten und Unterlagen zur Anpassung an veränderte Klimabedingungen bei. Eine optimierte Hangneigung und Exposition sowie die Ausrichtung der Rebzeilen, aber auch die Integration von Gehölzen wie Bäumen und Hecken können das Mesoklima zusätzlich positiv beeinflussen. Kurz- bis mittelfristige Maßnahmen ermöglichen eine flexible Anpassung an jährliche Witterungsextreme. Ein standortgerechtes Boden- und Begrünungsmanagement sowie eine sachgerechtes Nährstoffversorgung können die Resilienz der Reben verbessern. Durch eine fachgerechte Entblätterung können mikroklimatische Parameter beeinflusst werden und die Steuerung des Blatt-Frucht-Verhältnisses sowie ein spätes Gipfeln der Laubwand tragen zur Verzögerung der Zuckerakkumulation bei.

Autor: Armin Kapaurer, Bio-Weinbauberater, BIO AUSTRIA Niederösterreich und Wien