Warum Innovationen zur DNA des Bio-Landbaus gehören

© Bio Ernte Stmk./Königshofer

Nach Duden handelt es sich bei einer Innovation „um die Realisierung einer neuartigen, fortschrittlichen Lösung für ein bestimmtes Problem, besonders die Einführung eines neuen Produkts oder die Anwendung eines neuen Verfahrens“. Schaut man in die Praxis, dann hat sich das Verständnis von Innovationen in jüngerer Zeit gewandelt, und zwar in dem Sinn, dass es offener geworden ist.

Es ist noch nicht lange her, dass der Begriff Innovation sehr eingeschränkt auf Produkte bezogen wurde, das heißt, am Ende eines Projektes hatte ein vermarktbares Produkt zu stehen. Es ist gut und notwendig, dass das heute nicht mehr so eng gilt, denn wir brauchen mehr. Heute unterscheiden wir neben Produktinnovationen, Verfahrens- und soziale Innovationen. Entscheidend ist, ob eine Innovation eine fortschrittliche Lösung für ein bestimmtes Problem darstellt.

Was treibt Innovationen?

Kurz: Probleme, die gelöst werden müssen. Und es geht um die Verbesserung der Effizienz oder den Umgang mit Restriktionen. Erfindergeist und Kreativität sind hilfreich.

Im bundesdeutschen Wahlkampf 2021 wurde Annalena Baerbock, damals Parteichefin der Grünen, arg gescholten für ihre Behauptung, dass Verbote oder Einschränkungen Innovationen fördern würden. Dabei hatte und hat sie vollkommen recht, Restriktionen sind ein sehr starker Treiber für Innovationen und der Bio-Landbau ist ein hervorragendes Beispiel dafür. Wie sollte es auch anders sein, ist er doch durch eine Vielzahl, und zwar freiwilliger, Restriktionen vor allem in der Erzeugung und Verarbeitung gekennzeichnet, und zwar aus Respekt vor Natur und Umwelt. Anders ausgedrückt: Mensch, Tier – auch Nutztier – sowie die Ökosysteme und damit auch die Biodiversität, das Grund- und Oberflächenwasser, das Klima und der Boden sollen durch die biologische Landbewirtschaftung möglichst wenig in Mitleidenschaft – was für ein Wort – gezogen werden.

Genauer betrachtet: Handeln tut Not, sind die Restriktionen im Bio-Landbau noch freiwilliger Natur, dann verweist die aktuelle Debatte über die planetaren Grenzen darauf, dass die Landwirtschaft allgemein zunehmend gezwungen ist, mit Restriktionen umzugehen, denn eine Analyse von Campbell et al. (2017) zeigt, dass Landwirtschaft allgemein ursächlich an der Überschreitung der planetaren Grenzen beteiligt ist. Bei der Landnutzungsänderung, bei der genetischen Vielfalt, bei der Frischwassernutzung sowie beim Stickstoff- und Phosphorkreislauf ist das mit zum Teil deutlich mehr als 60 Prozent der Fall.

Biobäuerinnen und Biobauern haben viel Erfahrung, Einschränkungen mit Innovationen zu begegnen. Der Verzicht auf bestimmte als bedenklich eingestufte Produktionsmittel und -verfahren, damit auch der Verzicht auf Höchsterträge, gehört in gewisser Weise zum Selbstverständnis des Bio-Landbaus. Begründet werden diese Restriktionen zum Teil ethisch, zum Teil naturwissenschaftlich. Die Liste ist sehr umfangreich. Allgemein bekannt sind der Verzicht auf mineralische Stickstoffdünger, chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und Agrar-Gentechnik sowie diverse Gebote wie die flächenabhängige Tierhaltung und die Begrenzung der Düngerausbringung pro Flächeneinheit. Weniger im Fokus der Öffentlichkeit stehen Verbote wie zum Beispiel das Verbot des Einsatzes von Klärschlämmen im Bereich der Düngung, aber auch Verbote wie das Schwanz- und Schnabelkürzen sowie der Embryonentransfer und anderes mehr.

Not macht erfinderisch

Der Ursprung dieses Satzes liegt wohl bei Platon: „Unser Bedürfnis wird der wahre Schöpfer sein.“ Und in der Tat, die freiwilligen Verzichte im Bio-Landbau haben unzählige Innovationen hervorgebracht. Dazu einige Beispiele:

Unkrautregulierung Der Klassiker schlechthin ist die mechanische Unkrautbekämpfung, besser: Beikrautregulierung. Entstanden sind Striegel und Co. schon in Zeiten, in denen leichtlösliche Düngemittel und Pestizide in der Landwirtschaft noch keine oder eine noch untergeordnete Rolle spielten. Herbizide standen noch nicht zur Verfügung, die Unkräuter beziehungsweise Wildkräuter wurden mechanisch und über die Fruchtfolge reguliert. Erst in den 1960er und 1970er Jahren hielten die Herbizide im großen Stil Einzug in die Landwirtschaft und lösten in der konventionellen Landwirtschaft die zum damaligen Zeitpunkt noch nicht sehr weit entwickelten mechanischen Maßnahmen binnen weniger Jahre nahezu vollständig ab. Der Bio-Landbau zog nicht mit, blieb allerdings nicht beim Status quo der mechanischen Maßnahmen, sondern entwickelte sie konsequent weiter und ergänzte sie, unter anderem durch thermische. Als Ergebnis steht heute ein breites Spektrum technischer Maßnahmen und hoch spezialisierter Geräte zur Verfügung, oft kombiniert und raffiniert eingebaut in hoch komplexe Anbauverfahren.

Unterfußdüngung Mittels der Unterfußdüngung mit speziell aufbereiteten Komposten lässt sich in der Wurzelsphäre von Kartoffeln ein mikrobielles Milieu schaffen, das dem pilzlichen Schaderreger Rhizoctonia solani effizient entgegenwirkt. Diese Innovation ist besonders für Pflanzgut-erzeugende Bio-Betriebe von großem Interesse.

Pflanzenzucht Lange Zeit erschien die Kraut- und Knollenfäule bei der Kartoffel ein schier unlösbares Problem. Der Einsatz von Kupferpräparaten, mal als Notlösung gedacht, etablierte sich als Dauerzustand. Doch auch hier gibt es Silberstreifen am Horizont. Einem Startup aus Bayern, der FORKA GbR, ist es im Rahmen eines partizipativen Züchtungsprojektes unter anderem im Rückgriff auf resistentes Zuchtmaterial aus der DDR gelungen, mit klassischen Züchtungsmethoden eine Krautfäule-resistente Kartoffelsorte auf den Markt zu bringen. Anfang 2024 zugelassen, bewährt sich „Melia“ gerade in der Praxis auf 25 Standorten (drei davon in Österreich) und das in einem witterungsbedingt kritischen Phytophthora-Jahr. Weitere Sorten, auch vorwiegend festkochende, befinden sich in der Wertprüfung. Vergleichbare Erfolge zeigen sich auch in den Niederlanden, wo der Kupfereinsatz bereits verboten ist.

Mobilställe Als ein weiteres Beispiel seien die Mobilställe genannt. Die Freilandhaltung zum Beispiel von Legehennen hat ein „Problem“. Sie führt selbst bei (in der Praxis nicht gegebener) gleichmäßiger Verteilung des Hühnerkots im gesamten Auslauf zu einer Eutrophierungssituation, das heißt, es werden über die tierischen Ausscheidungen weit mehr Nährstoffe in den Auslauf eingebracht, als die vorhandene Grasnarbe aufnehmen könnte. Das Problem verschärft sich nochmal gravierend, da der Hühnerkot vor allem konzentriert im stallnahen Bereich anfällt. Dort werden nicht selten überkritische Konzentrationen an Stickstoff und Phosphor erreicht. Das ist unter anderem ein Problem für die Wasserwirtschaft. Die Lösung für viele Betriebe sind die sogenannten Mobilställe. Sie ermöglichen ein häufiges Versetzen der Ställe, idealerweise alle ein bis zwei Wochen, was zum einen eine gleichmäßige Verteilung des Hühnerkotes im gesamten Auslauf sicherstellt und zum anderen dem mechanisch stark belasteten Nahbereich und der Standfläche des Stalls Zeit zur Regeneration gibt. Darüber hinaus können weitere Flächen miteinbezogen werden, also in gewisser Weise kann der Mobilstall mit der Fruchtfolge „mitlaufen“.

Transfersubstrate Für Festställe bieten sich sogenannte Transfersubstrate an, auch eine Innovation. Dabei handelt es sich um organische Einstreumaterialien, die im Nahbereich oder anderen Hotspots ausgebracht, dazu dienen können, Nährstoffe aus den Ausläufen zu entnehmen und sie in den Nährstoffkreislauf des Betriebes einzubringen.

Soziale Innovationen

Innovationen gibt es allerdings nicht nur in der landwirtlichen Primärproduktion. Die Solidarische Landwirtschaft zum Beispiel hat eine starke soziale Komponente. In Europa hat sie sich vor 40 Jahren aus der Community Supported Agriculture (CSA) entwickelt. Der Grundgedanke: Verbraucherinnen und Verbraucher erwerben Anteile der Jahresernte eines Betriebes und stellen so seine laufenden Kosten inklusive des Einkommens der Bewirtschaftenden sicher. Im Gegenzug stellen diese eine entsprechende Versorgung mit Lebensmitteln zur Verfügung. Inzwischen sind es allein in Österreich mehr als 50, überwiegend Bio-Betriebe, die sich dieser Betriebsform verschrieben haben, Tendenz steigend. Die Solawis sind eine beindruckende Antwort auf die Herausforderungen in Zeiten von Klimakrise und Biodiversitätsschwund. Sie bringen Bio-Landwirte und Verbraucherinnen in ein sehr enges Kooperations- und Verantwortungsverhältnis und schaffen zumindest in Teilen eine gewisse Unabhängigkeit vom zunehmend gefährdeten, weil sowohl sozial als auch ökologisch, wenig nachhaltigen Modell der Gemüsekammer Südspaniens (auch Italiens) mit all ihren Unzulänglichkeiten und Problemen. Es gibt außerdem diverse Vorstufen und Übergänge. Eine der prominentesten ist die sogenannte Gemüseselbsternte, die in den späten 1980er Jahren in Österreich von Regine Bruno entwickelt wurde. Hier richten Landwirte Gemüseparzellen ein, die nach der Aussaat oder Pflanzung den Nutzern zur Pflege, Nachsaat und Ernte gegen einen Kostenbeitrag überlassen werden.

Die Liste ließe sich lange fortführen.

Systemansatz als Basis

Abschließend und schlussfolgernd ist festzustellen, dass Innovationen in der biologischen Landwirtschaft meist aus dem Systemansatz des Bio-Landbaus entstehen, das heißt aus dem tiefen Verständnis agrarökologischer und -sozialer Zusammenhänge. Herausragende Praxiskenntnisse sind dabei eine entscheidende Voraussetzung. Vieles was heute als „agrarökologisch“ oder „regenerativ“ scheinbar neu erfunden wird, ist ursprünglich mal als Innovation im Bio-Landbau entstanden und inzwischen dort längst etabliertes Alltagsgeschäft. In der bislang noch wenig entwickelten partizipativen Zusammenarbeit von Praxis und Wissenschaft liegt die Zukunft für die innovative Weiterentwicklung des Bio-Landbaus.

Autor:

Prof. Jürgen Heß, Vorstandsvorsitzender im Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) Deutschland e.V., Frankfurt am Main

Der Artikel erschien in der BIO AUSTRIA Zeitung, Ausgabe 4/2024 zum Schwerpunkt „Innovativer Bio-Landbau“.