Wasser in der Landschaft halten

Mit einem Konzept aus Australien, dem Keyline-Design oder der Schlüssellinienkultur, wird versucht, Niederschlagswasser in der Fläche zu verteilen und zu halten, um Böden und Produktivität zu verbessern. Wie das geht, erklärt der Experte Dr. Philipp Gerhardt.

Für Teile des Alpenraums werden laut Studien aus der Schweiz für das Ende des 21. Jahrhunderts 20 Prozent mehr Wassermenge bei Starkregen und 30 Prozent mehr Winterabflüsse erwartet. Daneben sind 90 Prozent mehr Trockenperioden und 40 Prozemt weniger Sommerabflüsse vorhergesagt. So verringert sich die Grundwasserneubildung und die verfügbare Grundwassermenge nimmt ab. Diese Dynamiken sind im gesamten Alpenraum und damit auch in Österreich zu erwarten. Besonders im Burgenland, der Steiermark und Niederösterreich werden solche Probleme das trockene, heiße Klima noch verstärken.

All diese Entwicklungen sind sowohl für den einzelnen landwirtschaftlichen Betrieb, wie auch für ländliche Gemeinden von Bedeutung, denn es muss zum Schutz der Bevölkerung sowie für eine stabile landwirtschaftliche Produktion Vorsorge getroffen werden.

Klimalandschaft mit Agroforst

Wie können wir also die Landschaft bestmöglich kühlen, um sommerliche Extreme und Dürreperioden zu vermeiden oder zumindest abzumildern? Wie kann Wasser in der Fläche gespeichert werden, so dass die Landwirtschaft versorgt, aber auch Erosion und Hochwässer entschärft werden können?

Wir wissen, dass Bäume, Wälder oder Flurgehölze das Lokal- und Regionalklima abkühlen können. Wir wissen auch, dass bei guter Strukturierung und Pflege die landwirtschaftlichen Erträge durch Gehölzpflanzungen stabiler werden und sogar steigen können.

Allerdings ist es oft problematisch, in ausgeräumte Landschaften wieder Gehölze einzubringen. Kaum ein Landwirt möchte Acker- oder Grünlandfläche „aus der Produktion“ nehmen. Windschutzgürtel oder Hecken werden oft als „unproduktiv“ empfunden, obwohl sie durch Erosions- und Windschutz, Taubildung und Verdunstung überhaupt die landwirtschaftliche Produktion sicherstellen.

Wenn wir also wieder „aufbäumen“ wollen, sollen es auch nach heutigem landwirtschaftlichem Verständnis produktive Elemente sein. Hier kommen Agroforstsysteme ins Spiel. Agroforstwirtschaft umfasst alle landwirtschaftlichen Nutzungen mit integrierten Gehölzen. Dazu zählen also neben genutzten Baumstreifen im Acker auch Hecken und Streuobstwiesen etc. Rechtlich fallen manche Elemente aber eher ins Naturschutzrecht und sind landwirtschaftlich uninteressant. Dennoch bieten geförderte Gehölzkulturen wie beispielsweise Energieholzstreifen, Obstbaumreihen, Hecken etc. vielfältige Möglichkeiten, „Agroforst“ im eigenen Betrieb zu praktizieren. Damit kann der Wasserhaushalt – der Dreh- und Angelpunkt der betrieblichen und regionalen Klimaanpassung – schon maßgeblich positiv beeinflusst werden. Verändern wir eine heute ausgeräumte Region wie das Weinviertel oder das Marchfeld, indem wir dort die Gehölzfläche signifikant erhöhen, schaffen wir eine „Klimalandschaft“, deren positive Wirkung Gemeinden und Landwirten gleichermaßen hilft.

Doch werden Gehölze „hangabwärts“ oder nur halbwegs am Hang orientiert gepflanzt, bringen sie wenig für den Rückhalt von Starkregen, der ja in Zukunft immer mehr vom wertvollen Jahresniederschlag ausmachen wird.

Keyline-Design als Ansatz

Es ist also wichtig, die Pflanzung von Gehölzen auch gleich so anzulegen, dass die in Zukunft heftiger werdenden Oberflächenabflüsse aufgehalten werden können. Und zwar nicht erst am unteren Ende der Landwirtschaftsfläche oder in großen, teuren Retentionsbecken. Nur, wenn diese wertvollen Wassermengen in der Fläche verteilt, versickert und gespeichert werden, profitieren pflanzliche Produktion, Grundwasserneubildung, Quellschüttung und Kühlleistung der Landschaft. Hier setzt Keyline-Design an, denn es stellt als Gestaltungsansatz den konsequent nachhaltigen Umgang mit Wasser in den Fokus.

Der Begriff „Keyline-Design“ (zu Deutsch „Schlüssellinienkultur“) wurde durch den Australier Percival Alfred Yeomans (1905-1984) geprägt, der ab 1942 die ersten Landwirtschaftsbetriebe damit gestaltete. Grundlegendes Ziel ist, Niederschlagswasser gezielt in der Fläche zu verteilen, zu halten und zu versickern, um Böden und Produktivität zu verbessern. Diese bewusste Verteilung des Wassers findet maßgeblich über konturnahe Gräben statt.

Konzept wurde verbessert

Die Grundidee wird bis heute beibehalten, viele Details sind jedoch mittlerweile überholt. Vieles, was in Literatur und Medien im Zusammenhang mit Keyline-Design zu finden ist, funktioniert in der Praxis nicht. So werden von Laien, die sich im Internet informieren, immer wieder Bearbeitungsmuster oder ungeeignete Grabenprofile geplant, die nicht funktional sind und teilweise sogar einer erheblichen Erosionsgefahr unterliegen, zum Beispiel bei der Konzentration an der falschen Stelle oder unkontrolliertem Überströmen.

Wir haben daher aufgrund von langjähriger Praxiserfahrung weitreichende Neuerungen und Verbesserungen eingeführt, so dass damit praxistaugliche Wässerlinien erstellt und umgesetzt werden können. Es werden gezielt Versickerungszonen geschaffen und Niederschläge dorthin geleitet, die Gräben aber so angelegt, dass bei Starkregen das gesamte Retentionsvolumen aktiviert wird.


Im Planungsprozess wird mit dem Landwirtschaftsbetrieb erörtert, wo feuchte und trockene Bereiche in der Fläche liegen, so dass die Bearbeitungsmuster dies gezielt ausgleichen können. In Gegenden mit mehr Niederschlag können Rohrsysteme ergänzt werden, die ein komplettes Regulieren ermöglichen, so dass in feuchteren Jahren entwässert, in Trockenzeiten jeder Tropfen Regen aufgefangen werden kann. Neben Wässergräben kann auch Tiefenlockerung in Keyline-Mustern eingesetzt werden, um Bodenfeuchte umzuverteilen. Auch Systeme mit Speicherung von Dach- und Wegewasser in Teichen und gezieltem Einleiten dieses Wassers in die Wässerlinien sind möglich, erfordern dann aber Genehmigungen, da sie weit über den Rahmen der minimalen landwirtschaftlichen Erdbewegungen hinaus gehen. Nicht nur unsere Praxiserfahrungen, sondern auch die Forschung zeigen aber, dass mit Keyline-Systemen die Wasserverfügbarkeit stark verbessert werden kann.

Langfristige Perspektive

Wässerlinien nach dem Keyline-Ansatz haben also einen großen Nutzen, sowohl regional durch ihre Schutzwirkung, als auch für den Betrieb. Ob ein solches Generationenwerk aber für den Betrieb „Früchte trägt“ hängt davon ab, ob sie gut in die betrieblichen Abläufe integriert werden, die Befahrungsmuster und Retentionsstreifen wirklich funktional sind.

Eine gute Keyline-Planung kann daher nie von außen aufgesetzt werden. Sie ergibt sich aus den Gegebenheiten des Standorts, den Ansprüchen des Betriebs und einigen wichtigen Grundsätzen. Der Weg dazu sollte eher wie ein Coaching verstanden werden, bei dem der Planer den Betrieb mit Fachwissen und vom Betrieb nicht selbst zu erbringenden Leistungen unterstützt.

Es geht hier um eine langfristige Perspektive, die man in der Forstwirtschaft noch eher gewohnt ist, die mit Agroforst aber hoffentlich wieder mehr in die Landwirtschaft getragen werden kann. Am Beginn steht ein Entwicklungsprozess, bei dem viele Fragen geklärt und Fallstricke vermieden werden müssen. Man muss sich als Betrieb darauf einstellen, die eigenen Wirtschaftsweisen wirklich nachhaltig zu verändern und sich Neues anzueignen.

Autor: Dr. Philipp Gerhardt, Gründer des Planungsbüros baumfeldwirtschaft.de und Geschäftsführer der Deutschen Agroforst GmbH. Die verwendete Literatur kann unter angefragt werden.