Weidefachtage Nachlese
Rückblick auf die Bio-Fachtagung
Dialog zu Green Deal, Weide und Co.
Die Bio-Fachtagung „Mensch-Tier-Natur im Mittelpunkt der neuen EU-Bio-Verordnung 2018/ 848 – Tierhaltung und Weidemanagement im Biolandbau“ hatte das Ziel, die Verordnung aus Sicht der Praxis, der Beratung und der Kontrolle zu diskutieren und mögliche Herausforderungen und Lösungsansätze aufzuzeigen.
Rund 500 TeilnehmerInnen aus 13 verschiedenen Mitgliedsstaaten (AT, DE, IT, CH, GB, LV, SI, RS, LU, BE, FR, CZ, NL) verfolgten die Vorträge und Diskussionen im digitalen Raum.
Die Fachtagung wurde gemeinsam von Landwirtschaftskammer Österreich, BIO AUSTRIA, IG Biokontrollstellen und HBLFA Raumberg-Gumpenstein organisiert und vom Netzwerk Zukunftsraum Land durchgeführt.
Es braucht eine solide EU-Bio-Verordnung als Grundlage
Gertraud Grabmann, Obfrau von BIO AUSTRIA resümiert:
„Es braucht eine solide EU-Bio-Verordnung als Gesetzesgrundlage und gleichzeitig Möglichkeiten für eine praxistaugliche Umsetzung auf den Höfen. Wir benötigen Lösungen für unsere BäuerInnen, die es ihnen ermöglichen, unter den lokalen Bedingungen auf ihren Betrieben bestmöglich biologisch zu wirtschaften. Im Interesse des Tierwohls, im Interesse der Menschen und deren Sicherheit.“
„Im Rahmen der Fachtagungen konnte klargestellt werden, dass es bei den Weidevorgaben nicht um die Frage des OB, sondern des WIE geht. Dass es darum geht, wie die Betriebe unter ihren unterschiedlichen lokalen Bedingungen die Vorgaben bestmöglich umsetzen können. Von Seiten der EU-Kommissions- und Europaparlaments-VertreterInnen in der heutigen Diskussion habe ich Signale vernommen, dass es Raum für lokal angepasste Vorgehensweisen gibt. Das begrüße ich ausdrücklich, und das gilt es in den nächsten Monaten gemeinsam zu realisieren“, so das Fazit von Getraud Grabmann über beide Tage.
Fachtagung am 9. Juni 2021 ganz im Zeichen der Praxis
In einer Videobotschaft bekannten sich zahlreiche Biobäuerinnen und Biobauern ganz klar zur Weide. Sie zeigten aber auch die Herausforderungen auf ihren Betrieben auf. Dazu gehören unter anderem der Viehtrieb über stark befahrene Straßen, die Dorflage von Betrieben, die Einschränkungen durch den Verlust des Ackerstatus, wenn Ackerflächen als Weide genutzt werden und die Vorgaben der Almwirtschaft. Das Video ist unter nachstehendem LINK zu sehen.
Vorteile und Herausforderungen der Weidehaltung
Gut für Tierwohl und Tiergesundheit
Elfriede Ofner-Schröck wies als Expertin für Tierhaltung an der HBLFA Raumberg-Gumpenstein auf die Vorteile der Weidehaltung für das Tierwohl und die Tiergesundheit hin. Der Weidegang entspricht dem natürlichen Verhalten der Tiere am besten. Er bietet ihnen eine artgemäße Futteraufnahme, stärkt den Bewegungsapparat der Tiere und ermöglicht ein ausgeprägtes Sozialverhalten. Jeder Aufenthalt im Freien bedeutet aber auch eine Auseinandersetzung mit vielfältigen Umwelteinwirkungen auf die Tiere, wie Parasiten oder Hitzestress im Sommer. Laut Ofner-Schröck ist das betriebliche Weidemanagement der entscheidende Faktor, damit die Vorteile der Weide auch abgeholt werden können.
Auch Andreas Steinwidder vom Bio-Institut Raumberg-Gumpenstein bescheinigt der Weidehaltung positive Effekte auf die Tiergesundheit. Sie ist eine preiswerte und hochwertige Futtergrundlage für unsere Wiederkäuer. Im übertragenen Sinn kann sie auch als Bindeglied zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen gesehen werden. BiobäuerInnen und Biobauern leisten mit ihren Tieren einen wertvollen Beitrag zur Pflege unserer Kulturlandschaft.
Forderung nach einer praxistauglichen Weidevorgabe
Aus seiner langjährigen Forschungsarbeit heraus, forderte Steinwidder von den Verantwortlichen auf europäischer und auf nationaler Ebene eine praxistaugliche Weidevorgabe. „Die Bauern müssen reagieren können. Es darf keine Lösung von der Stange sein. Weidehaltung ist mit bestimmten Tiergruppen unter bestimmten betrieblichen Gegebenheiten nur schwer umsetzbar. In unseren Breiten braucht es auch Flächen für das Winterfutter.“ Er wies in seinem Vortrag auch darauf hin, dass Wiederkäuer in „sensiblen“ Phasen, wie zum Beispiel zum Zeitpunkt der Abkalbung, eine spezielle Betreuung brauchen, die mitunter nicht auf der Weide geboten werden kann. Nur eine praxistaugliche Auslegung der EU-Bio-Verordnung bei der Weide mit dem nötigen betrieblichen Spielraum ist laut Andreas Steinwidder der Schlüssel für eine zukunftsfähige Bio-Landwirtschaft. Der Betrieb muss als Gesamtsystem gesehen werden, dazu gehört auch der Mensch: „Wir brauchen Biobäuerinnen und Biobauern mit Freude am Handwerk Bio-Landwirtschaft.“
Ab 2022 muss jeder Betrieb seinen Tieren Weide anbieten, unabhängig davon, wie die Flächen erreicht werden können. Christoph Mairinger von der Sozial-versicherungsanstalt OÖ und Johann Gföllner von der Landwirtschaftskammer Tirol wiesen ganz klar auf die Gefahren beim Treiben von Tieren hin: „Man weiß oft nicht wie Tiere reagieren. Die Tiersignale sind für Nicht-Landwirte sehr schwer einzuschätzen.“ Im Schadensfall liegt die Haftung schwerpunktmäßig immer noch auf der Seite des Tierhalters. Er muss beweisen, dass er für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung seiner Tiere gesorgt hat. Seit dem Kuhurteil in Tirol kann auch eine erwartbare Eigenverantwortung von betriebsfremden Personen, Besuchern von Almen und Weiden, angenommen werden.
Spannungsfeld Kontrolle in Europa: Zwischen Recht, Tier und Mensch
Wolfgang Pirklhuber von der Interessengemeinschaft der Bio-Kontrollstellen forderte in seinem Statement: „Die Umstände, die für eine artgerechte Weidehaltung berücksichtigt werden müssen, gehen über Bodenzustand, Witterung und jahreszeitliche Bedingungen hinaus. Es müssen auch die spezifischen Bedürfnisse der Tiere, ihr jeweiliges physiologisches Leistungspotential, aber auch Fragen der Verkehrssicherheit und des gesamten Weidemanagement berücksichtigt werden.“ Georg Eckert, Präsident des europäischen Netzwerks der Bio-Kontrollstellen (EOCC) sowie weitere Vertreter von Biokontrollstellen aus Frankreich (Michel Reynaud, Vizedirektor von Ecocert FR) und Deutschland (Jochen Neuendorf GfRS D) waren einig, dass es eine ausreichende Balance zwischen den rechtlichen Regelungen und ihrer praktischen Anpassung an regionale, klimatische und standortbezogene Faktoren braucht.
Über die Entwicklung bezüglich des EU-Audits und den derzeitigen Stand der neuen EU-Bio-Verordnung berichteten Agnes Muthsam vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz sowie Elisabeth Jöchlinger von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit. Die Vorträge der Juristen Daniel Ennöckl von der Uni Wien und von Franz Leidenmühler von der JKU Linz zeigten, dass es durchaus unterschiedliche juristische Interpretationen der Weidevorgaben der EU-Bio-Verordnung geben kann.
Diskussionen auf europäischer Ebene am 10. Juni 2021
Der zweite Tag der Fachtagung stand ganz im Zeichen des europäischen Dialogs. In ihren Grußworten strichen Bundesministerin Elisabeth Köstinger und Bundesminister Wolfgang Mückstein die besondere Bedeutung der Bio-Landwirtschaft für Österreich hervor.
Jan Plagge, Präsident der Internationalen Vereinigung der ökologischen Landbaubewegungen EU (IFOAM EU) ist überzeugt: „Die Bio-Landwirtschaft in ihrer Diversität ist auf eine lokal angepasste Umsetzung der europäischen Vorgaben angewiesen.“ Es sei schwer, über einen einzelnen und einheitlichen Begriff in der Verordnung die Realität in den unterschiedlichen Mitgliedsstaaten zu regeln. Es gelte daher, die Balance und einen konsistenten Ansatz zu finden, bei dem gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Mitgliedsländer gewährleistet sind, die Vielfalt basierend auf den lokalen Gegebenheiten respektiert wird, Transparenz gewährleistet ist und der landwirtschaftliche Betrieb innerhalb der klaren Grenzen der Verordnung und im Einklang mit den Prinzipien und dem ganzheitlichen Ansatz Bewegungsspielraum hat, betonte Plagge.
Die Bio-Landwirtschaft wurde von der EU-Kommission als wesentliches Instrument zur Ökologisierung der Landwirtschaft und zur Zielerreichung in der Frage von Klima- und Biodiversitätsschutz erkannt und in den Strategien zur Biodiversität sowie „From Farm to Fork“ verankert. Das Ziel der Ausweitung der biologisch bewirtschafteten Fläche in der EU auf 25 Prozent soll maßgeblich zur Zielerreichung beitragen. „Die Bio-Landwirtschaft wirkt sich positiv auf Umwelt, Klima, Biodiversität aus“, betonte Diego Canga Fano, Hauptberater in der Generaldirektion für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung in der Europäischen Kommission.
Statements aus dem Spannungsfeld Theorie und Praxis
In einem Themenblock „Theorie und Praxis“ kamen Experten aus verschiedenen EU-Staaten zu Wort. Hubert Heigl, Präsident Naturland Deutschland und Biobauer weiß, dass viele Betriebe in Bayern vor ähnlichen Herausforderungen stehen wie in Österreich. Heigl hat auch darauf hingewiesen, dass die Weide ein wichtiger, aber bei weitem nicht der einzige Vorteil der Bio-Landwirtschaft für das Tierwohl ist. Alexander Beck, Geschäftsführender Vorstand der Assoziation ökologischer Lebensmittelhersteller betont: Die Umsetzung der neuen Bio-Verordnung muss in eine Ermöglichungskultur und nicht in eine Verunmöglichungskultur münden. Die Molkereien brauchen genauso wie die BäuerInnen Planungssicherheit, um den steigenden Bio-Markt bedienen zu können. Andrea Wagner, Biobäuerin und Vizepräsidentin der LK NÖ setzte sich für eine gerechte Abgeltung der vielfältigen Leistungen von Biobetrieben am Markt ein. Fiona Marty, Referentin für Europapolitik beim französischen Bio-Bauernverband FNAB zeigt, dass auch für die französischen BiobäuerInnen Lösungen für Weidemanagement, Auslaufüberdachung und Nasenring gefunden werden müssen. Sie meint, es muss die Hoffnung bestehen, dass die EU-Kommission für die BäuerInnen das Beste macht. Ohne BäuerInnen können die EU-Ziele nicht erreicht werden. Herbert Dorfmann, Abgeordneter der Südtiroler Volkspartei Südtirol im EU-Parlament präsentiert wie die Umsetzung in Südtirol aktuell erfolgt, wo eine betriebsindividuelle Vorgehensweise umgesetzt wird.
Intensiver Austausch
Die abschließende Podiumsdiskussion zum Thema „Wie sehen praxistaugliche Lösungen im EU-Rechtsrahmen aus?“ wurde durch Sektionschef Hannes Fankhauser (BMLRT)und Sektionsleiter Ulrich Herzog (BMSGPK) eingeleitet. TeilnehmerInnen waren Elena Panichi, Europäische Kommission, Martin Häusling, Abgeordneter Europäisches Parlament, Josef Moosbrugger, Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich, Gertraud Grabmann, Bundesobfrau BIO AUSTRIA, Wolfram Dienel, Copa-Cogeca sowie Jan Plagge und Herbert Dorfmann. Bestimmendes Thema war auch hier die richtige Balance zwischen europarechtlichen Vorgaben und Spielraum für praxistaugliche Auslegungen. Vor dem Hintergrund des Ziels, bis 2030 in Europa einen Bio-Anteil von 25% zu erreichen, wurden Maßnahmen zur Entwicklung von Produktion und Märkten erörtert. Das Vertrauen der KonsumentInnen in die Bio-Lebensmittel spielt dabei eine wichtige Rolle, aber auch Maßnahmen der Politik – etwa im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik – zur Unterstützung der biologischen Wirtschaftsweise. Die Diskussion hat auch gezeigt, dass es zu Fachfragen missverständliche Wahrnehmungen zwischen nationaler und europäischer Ebene gibt. Die Vertreterin der Europäischen Kommission hat für weitere Gespräche jedenfalls ihre Bereitschaft bekundet.
Die Beiträge aller ReferentInnen sind bzw. werden in Kürze auf der
Website www.zukunftsraumland.at nachzulesen sein.