Zucht auf Lebensleistung
Andreas Perner ist Biobauer und Lebensleistungszüchter. Wir sprachen mit ihm über Anforderungen des Bio-Landbaues an die Zucht, Selektionsmerkmale und warum ein Umdenken notwendig ist.
Kann die Zucht helfen, die Herausforderungen in der Bio-Rinderhaltung zu meistern?
Perner Jedenfalls. Wir brauchen im Bio-Landbau Tiere, die ihre Leistung vorwiegend aus dem Grundfutter erzielen, die für die Weidehaltung geeignet sind und ein hohes Maß an Fitness und Gesundheit mitbringen. Sie müssen aufgrund des limitierten Kraftfuttereinsatzes auch physiologisch in der Lage sein, mit einer Nährstoff-Unterversorgung in der Hochleistungsphase umzugehen beziehungsweise sie müssen dann auch noch fruchtbar bleiben, da ja der Einsatz von Hilfsstoffen zur Pansenstabilisierung verboten ist und Medikamenten- und Antibiotikaeinsatz sehr kritisch gesehen wird. Es liegt also ganz wesentlich an der Zucht, diese Rahmenbedingungen aufzunehmen und Tiere zu züchten, die für den Bio-Landbau geeignet sind.
Welche Anforderungen stellt der Bio-Landbau an die Tierzucht?
In der konventionellen Zucht wird seit rund 40 Jahren auf immer höhere Einsatzleistung gezüchtet. Damit verbunden ist, dass eine Futterration in der konventionellen Milchviehhaltung heute bis zu 50 Prozent Kraftfutter enthält, weil sonst solche Leistungen nicht realisiert werden können. Damit einher ging die Nutzungsdauer der Kühe in den letzten Jahrzehnten teilweise dramatisch zurück. In Österreich liegt sie bei rund 3,5 Kälbern pro Kuh, in Deutschland sind es sogar nur 2,5 Kälber. Die Kühe müssen also den Stall verlassen, noch bevor sie ausgewachsen sind und ihre eigentliche Höchstleistung erbringen können.
Der Bio-Landbau hat aufgrund der Produktionsrichtlinien völlig andere Rahmenbedingungen in der Fütterung. Diese müssen unbedingt auch in der Zucht Eingang finden. Wenn ich es etwas überspitzt formulieren darf: Wir brauchen im Bio-Landbau eine Elterntiergeneration, die auf maximale Grundfutterleistung gezüchtet ist und nicht auf maximale Kraftfutterverträglichkeit. Das bedeutet für die Praxis, es muss in den nächsten Jahren intensive Bemühungen geben, der Rinderzucht im Bio-Landbau auch unter den Bäuerinnen und Bauern einen höheren Stellenwert einzuräumen. Und es müssen Schritt für Schritt Deck- und Besamungsstiere aus Bio-Betrieben für die Zucht zur Verfügung gestellt werden.
Du bist ein Verfechter der Zucht auf Lebensleistung.
Ja, denn in einem gesunden Organismus laufen verschiedene Stoffwechselprozesse nicht wahllos nebeneinander ab, sondern nach einer genetisch bedingten zeitlichen und räumlichen Hierarchie. Die schwierige Aufgabe der Gewichtung vieler Teilmerkmale für den Selektionsentscheid löst man am besten, wenn man die Zuchttiere nach dem Merkmal auswählt, das in der Merkmalshierarchie allen anderen übergeordnet ist. Das ist die Energiemenge der Milchlebensleistung. Die Lebensleistung entspricht zudem dem für den Bio-Landbau erwünschten ganzheitlichen Denkansatz. Um eine hohe Lebensleistung zu erreichen, muss die Kuh in allen wichtigen wirtschaftlichen Merkmalen wie Fundamente, Eutergesundheit, Leistung, Fruchtbarkeit oder Stoffwechselstabilität im positiven Bereich sein, sonst ist eine hohe Lebensleistung nicht zu erreichen. Und für die Praxis bedeutet es ein einziges, leicht nachzuvollziehendes Merkmal, nach dem man selektieren kann. Dies war bis in die 70/80iger Jahre über Jahrhunderte zurück die gängige Zuchtpraxis, der Sohn der ältesten und besten Kuh wurde in die Zucht genommen.
Die Strategie ist nicht neu, aber es gibt immer noch sehr wenige Betriebe, die auf Lebensleistungszucht setzen.
Das ist eine Sache, die man im Kopf umdrehen muss. Noch immer werden Kühe und Kalbinnen mit sehr hohen Einsatzleistungen als die besten Zuchttiere angesehen, ganz egal ob sie ein Jahr später aufgrund von Erkrankung oder Unfruchtbarkeit nicht mehr im Bestand sind. Die Leistungsentwicklung von Lebensleistungs-Tieren verläuft dagegen deutlich anders: Sie starten mit durchschnittlichen Leistungen, die Leistungen steigern sich von Jahr zu Jahr und wenn die Kühe ausgewachsen sind nach dem vierten Kalb, dann bringen sie über mehrere Jahre Höchstleistungen ohne Probleme und ohne Tierarztkosten.
Durch die langsamere Leistungsentwicklung haben Stiere aus der Lebensleistungszucht in der Regel negative Milchzuchtwerte, das bedeutet jedoch nicht, dass die Tiere im ausgewachsenen Alter schlechtere Leistungen erbringen.
In den letzten Jahrzehnten war die Lebensleistungs-Zucht hauptsächlich in den Arbeitsgemeinschaften organisiert und sozusagen eine eigene „Community“. Mit der Gründung der Verbandes EUNA wurde die Basisarbeit verbreitert und es gibt regelmäßig neue Besamungsstiere, die angeboten werden. Leider werden die Ergebnisse immer etwas stiefmütterlich behandelt. Aber ich kann sagen, dass unsere Vorzeigebetriebe durchschnittliche Lebensleistungen bei den Abgangskühen von über 50.000 kg Milch haben. Der Durchschnitt über alle Rassen liegt in Österreich bei rund 28 000 kg. Und das allergrößte Plus sind einfach problemlose Kühe im Stall.
Wissen
Die Europäische Vereinigung für Naturgemäße Rinderzucht (EUNA) ist ein in allen österreichischen Bundesländern anerkannter Zuchtverband und berechtigt für die Rassen Fleckvieh, Braunvieh und Holstein ein eigenes Herdbuch zu führen. Schwerpunkt der Arbeit ist die Auswahl von geeigneten Besamungsstieren. Daneben wird Hilfe und Beratung in allen Zuchtfragen angeboten. Weitere Informationen finden Sie auf www.euna.info