Drei Krisen: Eine große Chance

Michael Windberger

Landgasthäuser


In den letzten 14 Jahren haben in Österreich über 2600 Wirte zugesperrt, vor allem Landgasthäuser [1]. Sie sind nicht nur wichtige Abnehmer und Verarbeiter für landwirtschaftliche Produkte, sondern auch soziale Nahversorger in Gemeinden.

Lebensmittelhandel


Auch der Lebensmittelhandel in Österreich ist seit vielen Jahren von ähnlichen Entwicklungen betroffen. Die Konzentration schreitet voran, gleichzeitig sperren viele kleine Nahversorger in den Ortszentren zu. 1999 mussten österreichweit 300 Gemeinden ohne Nahversorger auskommen [3] Anfang 2023 waren es bereits 600 Gemeinden. [4]

Landwirtschaft


Im gleichen Zeitraum hat in Österreich jeder neunte landwirtschaftliche Betrieb aufgegeben, besonders betroffen sind kleine Gemischtbetriebe. [2] Auch die Bio-Landwirtschaft ist zunehmend vom Strukturwandel betroffen und viele Bio-Betriebe schließen für immer ihre Hoftore.

Alle drei Themenfelder betreffen die Versorgungssicherheit auf dem Land. In allen drei Bereichen kommt es zu mehr Konzentration und/oder Rückzug aus dem ländlichen Raum. Diese drei Krisen hängen zusammen und befeuern sich: Die Landgasthäuser und kleine selbstständige Nahversorger waren wichtige Partner und Abnehmer für die kleinteilige, regionale Landwirtschaft. Die Konzentration großer Supermärkte und Systemgastronomie setzt mit ihren großen Strukturen und Zentrallagern auf eine andere Form der Landwirtschaft und meist wenige große Lieferanten, die gleichwertige Produktqualität in großen Mengen anbieten kann.

Was zurück bleibt sind zunehmend aussterbende Dorfkerne und viel leerstehende Infrastruktur: Gasthäuser und Fleischereien mit ihren Kühl- und Verarbeitungsräumen und leerstehende Nahversorger.

Neuanfang und Chance

Genau diese multiplen Krisen bieten aber auch die Chance, das Lebensmittelsystem von unten neu aufzubauen – Hand in Hand mit der regionalen, kleinstrukturierten, biologischen Landwirtschaft.
Man kann die weißen Flecken in der Nahversorgungslandschaft auch als sich verdichtende neue Freiräume betrachten – dort wo das alte System zunehmend wegbricht, kann in die Lücken ein Neues hineinwachsen. Die Leerstände liegen oft logistisch günstig nahe beieinander, sodass nicht zwingend neu gebaut und viel investiert werden muss. Es braucht aber ein wirtschaftlich funktionierendes Konzept für die Nachnutzung.

Um wirtschaftlich sinnvoll starten zu können muss dabei in kleinen Netzwerken gedacht werden. Diese können künftig die Funktion regionaler Logistikknoten für Gastronomie und Landwirtschaft übernehmen.

Die perfekten Partner für diese Verkaufsstätten sind wiederum Biobäuerinnen und Biobauern in der Region, die vielfältig und gut auf die Abnehmer-Bedürfnisse abgestimmt anbauen und produzieren können. Dies bietet Planungssicherheit für die Bio-Betriebe und Bedarfsorientierung für die Abnehmer in der Gastronomie und im Handel.
Die drei Bereiche – Landgasthäuser, Bio-Landwirtschaft und Lebensmittelhandel – neu ausgerichtet und auf regionalen Kreisläufen basierend – können sich gegenseitig aufbauen und stärken. Insbesondere für kleinstrukturierte Bio-Betriebe mit Direktvermarktung bieten derartige neue Konzepte Absatzchancen und Entwicklungsmöglichkeiten. Geschieht dies in Form von Genossenschaften und gemeinsam mit den regional handelnden Akteur:innen in Gastronomie und Handel, so geht damit auch ein hohes Maß an Selbstermächtigung einher.

markus obermair

Beispiele aus der Praxis

Pionier in dieser Richtung ist seit sechs Jahren die Dorfgenossenschaft UMS EGG in Oberösterreich. Die Genossenschaft betreibt inzwischen in drei Gemeinden und einem historischen Stadtteil vier Nahversorger mit regionalem und biologischem Schwerpunkt. Teilweise hat es an diesen Standorten schon über 10 Jahre keinen Nah-versorger mehr gegeben.
Die Lebensmittel werden von über 90 Lieferanten direkt aus der Region bezogen. Die Genossenschaft konnten dabei sehr viel Erfahrung sammeln und beraten heute andere Gemeinden und Initiativen, die ähnliches aufbauen möchten.
Weitere Projekte in ganz Österreich die den modernen genossenschaftlichen Ansatz verfolgen:
„Speis von Morgen“ in Innsbruck
„Morgenrot“ in Wien
genossenschaftliche Mitmach-Supermarkt MILA in Wien

Text: Bernd Fischer, Dorfgenossenschaft UMS EGG eG, Infos: www.ums-egg.at;
gekürzt und überarbeitet von Veronika Muß, BIO AUSTRIA

Quelle
[1] https://kurier.at/wirtschaft/sperrstunde-warum-jetzt-viele-landgasthaeuser-fuer-immer-zusperren/402262779
[2] https://www.nachrichten.at/wirtschaft/bauernsterben-jeder-neunte-landwirt-hat-seit-2010-zugesperrt;art15,3679690
[3] Zukunft.Nahversorgung/Reinwald u. Damynovic (2018) S.8
[4] BMLFUW Zweiter Bericht zur Nationalen Lebenmittelversorgungsicherheit (2023) S.14ff